von Michael Krennerich
Dina ist der Spitzname einer jung gebliebenen Schulfreundin, die mir untersagt hat, über das folgende Vorkommnis eine Glosse zu schreiben. Auf diese Idee wäre ich, ehrlich gesagt, gar nicht gekommen. Aber wenn ich so nett darum gebeten werde – dann gerne. Die Geschehnisse, die nicht erzählt werden sollen, trugen sich im schönen Kapstadt zu, wo Dina mit Hund und Familie lebt.
Um Geist und Körper zu erfrischen, pflegte Dina dort alltäglich in einem öffentlichen, aber privat geführten Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen. Da sie dabei nicht gestört werden wollte, wählte sie hierzu die späte Abendstunde, kurz, bevor das Bad schloss. An diesem Abend nun entschied sie sich für die äußere linke Bahn des ansonsten leeren Schwimmbeckens. Doch kaum war Dina ins kühle Nass gestiegen, bekam sie Gesellschaft. Eine korpulente Frau stieg ins Wasser und machte ihr die Bahn streitig. „Entschuldigung“, sprach Dina sie an (natürlich auf Englisch, das ich hier frei, wenn auch etwas holprig, übersetze), „aber könnten Sie vielleicht auf eine der freien Bahnen schwimmen?“ Was folgte, zitiere und übersetze ich lieber nicht, denn es war eine doch reichlich anzügliche Schimpftirade. Die Grundaussage lautete, dass sich Dina verpisse solle, argumentativ unterlegt mit dem Hinweis, dass die Schimpfende schon vorher da gewesen wäre, wie unverkennbar an dem Handtuch zu erkennen sei, das zu Reservierungszwecken am Beckenrand lag. Es folgte ein Wortgefecht, in dessen Verlauf Dina erneut übel beschimpft wurde. Die liebe Dina, eigentlich von sanfter Natur und friedfertig im Umgang, war darüber so erbost, dass sie das besagte Handtuch ins Wasser warf und die Badetasche ihrer Widersacherin gleich hinterher. Das Geschrei und Gejammer im Becken war groß und hallte durch die Schwimmhalle (Man beachte das Wortspiel! Große Literatur!). Aufgewühlt, aber mit Genugtuung verließ Dina den Schwimmbereich, zog sich um und beschwerte sich anschließend an der Kasse über die Störenfriedin. Sie solle einen Bericht erstellen und am kommenden Tag abgeben, wurde ihr gesagt.
So weit, so gut. Doch als Dina am nächsten Tag – sich noch völlig im Recht wähnend – mit ihrem schriftlichen Bericht am Schwimmbad eintraf und Justitia-gleich ins Büro des Geschäftsführers stolzierte, entwickelten sich die Geschehnisse anders als erwartet. Zwischen holzverkleideten Wänden wurde ihr dort ein Video des Streits vorgeführt. Dummerweise ohne Ton. Was man sah, war ein Gespräch zwischen zwei Frauen, an dessen Ende Dina das Handtuch und die Tasche der Badenden ins Wasser warf. Ob es ihr leidtue, wurde sie gefragt, was Dina wahrheitsgemäß verneinte, mit der Folge, dass sie in diesem und allen anderen Schwimmbädern des Betreibers in Südafrika Hausverbot erhielt. Nun muss Dina frühmorgens im kalten Meer ihre Bahnen ziehen. Es gibt Schlimmeres, werden Sie sagen, denn die Strände nahe Kapstadt sind nun wirklich schön, selbst, wenn dort inzwischen die ein oder andere Badetasche zwischen Camps Bay und dem Llandudno Beach im Meer treibt. Dennoch ist die Geschichte irgendwie traurig, da sie einmal mehr zeigt, wie ungerecht das Weltgeschehen seinen Lauf nimmt. Dabei hätte Dina als gebürtige Deutsche die Bedeutung von Handtüchern an Beckenrändern und auf Badeliegen kennen müssen.
Mir zumindest ist dies sehr wohl bekannt, zumindest, seit ich vor einigen Jahren abends an einer Poolbar im schönen, aber heißen Spanien folgende Szene beobachtete: Ein offenkundig deutsches Paar im mittleren Alter legte ordentlich seine weißen Hotelhandtücher auf zwei der wenigen Liegen mit Sonnenschirm, um sich diese für den nächsten Morgen zu sichern. Dann zogen die Beiden zufrieden wieder ihrer Wege. Guter move, dachte ich anerkennend und schlürfte an meinem Cocktail. Doch nicht gut genug, musste ich etwas später feststellen, als zwei junge Frauen an mir vorbeiliefen, die offenkundig den morgigen Tag ebenfalls am Pool verbringen wollten und nach einem Schattenplätzchen Ausschau hielten. Schon flogen die sorgsam ausgebreiteten weißen Platzhalter in den Pool und wurden durch zwei bunte Badetücher der beiden Nixen ersetzt, die ohne weiteres Aufsehen und ohne ihr Gespräch auch nur zu unterbrechen wieder im Hotel verschwanden. Wow, dachte ich mir und bestellte gleich noch einen weiteren Drink. Getoppt wurde das Ganze jedoch einige Cocktails später, als zu vorgerückter Stunde zwei Frauen – ich würde sagen: Mutter und Tochter – am Pool eintrafen, wortlos und ohne jeglichen Skrupel zwei Sonnenschirme abbauten und mit aufs Zimmer nahmen. Was Dina wohl gemacht hätte, frage ich mich im Nachhinein. Ich ließ mich damals betrunken auf einer Badeliege nieder und überlegte ernsthaft, ob ich als lebendender Handtuchersatz und Sonnenschirmbeschützer meine Urlaubskasse auffrischen könnte. Aufs Zimmer mitgenommen hätte mich gewiss niemand, so viel war sicher. Dina aber hätte wohl mich und alle anderen Handtücher, Liegen und Sonnenschirme in den Pool geworfen, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun – und nach einem kurzen Gespräch mit dem Hotelmanager fortan im naheliegenden Meer gebadet.