Neu: Jetzt steig schon ein!

von Michael Krennerich

Gleich vorab: Der Verbindung zwischen Videospielen und körperlichen Aktivitäten (excergames) in Form von albernem Gehüpfe vorm Bildschirm konnte ich noch nie etwas abgewinnen. Auch interaktives Fernsehen, in dem abgestimmt wird, ist mir zutiefst suspekt. Ebenso wenig greife ich, animiert durch Koch- oder Gartenshows, zur Küchenschürze oder Gartenschere. Und dennoch: Wenn ich Fernsehen schaue, sitze ich zwar hoch konzentriert auf dem Sofa, aber gefesselt vom Geschehen in der Flimmerkiste zapple ich doch herum: keine noch so schlechte Boxszene, ohne dass ich rechten Haken und linken Schwingern nicht gekonnt ausweiche.

Ich befürchte, dies hat etwas mit dem eingeschränkten Fernsehkonsum in meiner Kindheit zu tun, den es zu kompensieren gilt: Unseren ersten Schwarz-Weiß-Fernseher hatten wir geschenkt bekommen, als ich bereits in der Grundschule war, und der funktionierte nur, wenn die Antenne auf dem Dach mitspielte. Auch war das Programm doch recht überschaubar. Gut, „Schweinchen Dick“ und „Rauchende Colts“ waren schon Klassiker. Der Höhepunkt aber waren die Familienshows am Samstagabend, wenn wir Kinder frisch gebadet und eingecremt im Bademantel wohlriechend auf dem Sofa vor der Glotze saßen. Mehr Familie gab es später nur bei gemeinsamen Canasta-Abenden – und die wurden mit der Zeit immer seltener.

Als Jugendlicher schaute ich kaum fern. Nicht nur, weil im Wohnzimmer dicke Luft war, sondern auch des vielen Sports und der netten Mädchen wegen. „Woher kennst Du dann all die Filme?“, fragt mich Hanna erstaunt, wenn ich mal wieder zugebe, dass ich diesen oder jenen Film schon einmal gesehen habe. Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Seit damals sind ja aber bereits einige Winter vergangen, und ich kann mir Plots einfach gut merken – weil ich mich eben nicht ablenken lasse und mit den Filmfiguren mit fiebere. Hanna amüsiert sich köstlich darüber.

Unruhig werde ich besonders bei Verabschiedungsszenen an Bahnhöfen, von denen es nun wahrlich nicht wenige in Filmen gibt. Dann stehen Verliebte, Freunde, Familien oder wer auch immer am Bahnsteig und verabschieden sich länglich von ihren Liebsten, während im Hintergrund der abfahrbereite Zug jeden Moment die Türen schließt. „Steigt endlich ein!“, ruf ich den Protogonisten hektisch zu. „Seht Ihr nicht, dass der Zug gleich abfährt!“  Hanna beruhigt mich dann mit dem Hinweis, dass die Regisseure den Zeitplan für gewöhnlich im Blick haben. Aber so sicher kann man da nicht sein, oder? Züge waren ja früher pünktlich.

Nervös werde ich übrigens auch, wenn irgendein depressiver Kommissar, gesuchter (aber unschuldiger) Verfolgter oder schussliger Verliebter all zu spät zu einer Verabredung mit seiner Angebeteten zu kommen droht. „Jetzt beeil‘ Dich halt“, ermahne ich ihn. „Du kannst die Frau doch nicht versetzen.“ Jüngst hat mich Hanna sogar ertappt, wie ich auf meine Armbanduhr schaute, um zu sehen, ob der Filmheld seine Verabredung noch einhalten kann. Hanna hielt sich den Bauch vor Lachen. Aber meine Sorge war berechtigt. Die Schöne war des Wartens überdrüssig geworden und nun weg.  „Meinst Du, sie kommen wieder zusammen?“, frage ich besorgt Hanna. „Wir werden es am Ende wissen“, antwortet sie trocken und wenig mitfühlend. Schön wär’s. Bei den leidigen Serien-Cliffhangern bleibt inzwischen alles ungewiss. Tja, denke ich tiefsinnig, es hat sich doch viel verändert, seit Doris Day (lautstark begleitet von meiner bügelnden Mutter) im Fernsehen „Qué será?“ sang.

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