von Michael Krennerich
Es gibt Tage, da glaubt man, die ganze Welt hätte sich gegen einen verschworen. Ich nenne diese Tage Marmeladenbrot-Tage, denn fällt das Brot herunter, landet es bekanntlich auf der bestrichenen Seite. Solche Tage fangen damit an, dass man sprichwörtlich mit dem falschen Fuß aus dem Bett steigt, das Kaffeepulver verschüttet, sich im Bad den großen Zeh anstößt, das frisch gebügelte Hemd befleckt und ewig seine sieben Sachen zusammensucht, bis man endlich das Haus verlässt. Hanna stöhnt dann erleichtert auf, wenn die Tür ins Schloss fällt, zumal, wenn sie ausnahmsweise einen freien Tag hat.
Auf dem Weg zur Arbeit staut sich sogleich der Verkehr, und nimmt man flink eine Abkürzung, fährt garantiert die Müllabfuhr irgendwann vor einem her. Im Büro angekommen, bemerkt man, dass Lesebrille und Unterlagen noch zuhause auf dem Esstisch liegen, dafür aber im Rucksack die Wasserflasche ausgelaufen ist. Nach einem kleinen Schreianfall fährt man den Computer hoch, der ewig braucht, bis er das persönliche Profil hochgeladen hat. Beim E-Mail-Check stellt sich heraus, dass das anberaumte Jour Fixe kurzfristig abgesagt wurde. Dafür findet sich der Hinweis, dass heute im Büro Reparaturarbeiten vorgesehen sind und zeitweise der Strom abgestellt wird.
So oder so ähnlich geht es dann den ganzen Marmeladenbrot-Tag weiter, wenn man dem Treiben nicht Einhalt gebietet. Daher ist es ratsam, alsbald den Computer herunterzufahren, leise das Büro zu verlassen und den Kolleg:innen noch eine schöne Restwoche zu wünschen. Wer’s drauf hat, holt sogar in der Bäckerei um die Ecke noch frische Brötchen und im Blumenladen noch ein schönes Sträußchen und überrascht seine Hanna zuhause an ihrem freien Tag. Die freudige Überraschung ist, wie zu erwarten, groß und zum Dank gibt es einen liebevollen Blick und Kuss.
Das glückt jedoch nicht immer, schon gar nicht, wenn Hanna – freier Tag hin oder her – sich in meiner Abwesenheit über den Amtsschimmel in der Universitätsverwaltung maßlos geärgert hat und gerade im Begriff ist, eine gepfefferte E-Mail zu schreiben. Fällt dann noch das Internet aus, ist Holland in Not. Da hilft weder die Rama auf dem Frühstückstisch noch der Käse von Frau Antje. Der Marmeladenbrot-Tag nimmt seinen Lauf. Hanna stöhnt und reckt die Arme gegen den Himmel – und scheint an der Menschheit zu verzweifeln. Bis sie sich beruhigt, hole ich schon einmal die leider verfärbte Wäsche (rote Socke übersehen) aus dem Waschkeller und checke den Briefkasten, wo ich eine Mitteilung des Paketzustellers finde, dass das Paket angeblich nicht zustellbar gewesen wäre und nun irgendwo am anderen Ende der Stadt abzuholen sei. Kaum Beachtung findet bereits der Strafzettel, den ich ebenfalls erhalten habe, weil ich offenbar ganze sechs Kilometer zu schnell unterwegs war. Wie denn frage ich mich: im Schneckentempo meines Vordermanns oder hinter der Müllabfuhr?
Da hilft nur, die Reset-Taste zu drücken. Hanna und ich schalten zu diesem Zweck die Telefone auf stumm und gönnen uns, während die Sonne durch die Rollläden-Ritzen blinzelt, ein ausgiebiges Nickerchen mitten unter der Woche. Herrlich!
Dann kommt unser Nachbarskind von der Schule und übt Blockflöte.
Marmeladenbrot-Tage!
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