Pepe

von Michael Krennerich

Kennen Sie Pepe? Nein? Hätte mich auch gewundert. Pepe war ein großer, bunter Papagei mit rot-gelb-blauem Gefieder, den Hanna und ich an der Pazifikküste in Costa Rica kennenlernten. Dort gehörte er zum lebendigen Inventar einer Strandbar, wo er flatterig herumtrapste, da ihm die Flügel gestutzt worden waren, so dass er nicht wegflöge. Hanna und ich waren damals noch junge Lateinamerikaforscher:innen, die sich am Wochenende am Strand von der mühsamen Recherche in staubigen Bibliotheken und zahllosen Interviews mit Politikern erholen mussten. An diesem frühen Abend, noch bevor die Sonne binnen weniger Minuten im Meer versank, hatten wir uns mit einem kurz zuvor angereisten Professor aus Deutschland verabredet, um ungestört ein, zwei fruchtige Cocktails zu schlürfen.

Doch wir hatten nicht mit dem Pepe gerechnet, der den armen Professor laut krächzend verfolgte. Des Papageien Motive waren indes lauter: Er hatte sich offenbar unsterblich in die Badetasche des Professors verliebt, die farblich Pepes Gefieder glich. Vergeblich versuchte der Professor den Papageien zu verscheuchen oder auch nur seine bunte Badetasche in Sicherheit zu bringen. Doch selbst als er die Tasche vom Boden aufhob und auf der Theke ablegte, gab Pepe nicht auf. Mit seinem mächtigen Schnabel und den kräftigen Krallen versuchte er immer wieder, den Barhocker zu erklimmen, um so zu seiner Herzdame zu gelangen. Der verängstigte Professor wusste sich nicht zu helfen und suchte verzweifelt Rat. Schließlich erbarmte sich Hanna, nahm Pepe auf den Arm und setze ihn auf einer etwas entfernten Stange ab, die eigens für den Papageien aufgestellt worden war. Von dort konnte er weder herabklettern noch aufgrund seiner gestutzten Flügel wegfliegen. Pepe schimpfte wie nichts Gutes.

Warum erzähle ich die Geschichte? Nun, weil sie nicht nur lustig, sondern auch lehrreich ist. Offenbar gibt es auch im Tierreich Objektophilie, also Tiere, die sich zu leblosen Objekten hingezogen fühlen. Im Falle des verliebten Pepes handelte es sich jedoch um eine schlichte Sinnestäuschung. Die attraktive Badetasche sah einer Papageiendame zum Verwechseln ähnlich. Wirklich absonderlich geht es erst in der Menschenwelt zu. Es ist schon verwunderlich, wie viel Liebe so manche Zeitgenossen zu leblosen Dingen aufbringen und wie wenig zu Ihresgleichen. Mit der Künstlichen Intelligenz, befürchte ich, wird dies noch viel schlimmer. Ob es wirklich eine gute Idee ist, die Einsamkeit von Menschen durch menschenähnliche Roboter zu lindern? Ich weiß nicht. Schon in meiner Jugend war ich skeptisch, ob die Plastikvögel, die den Wellensittichen in Deutschlands Küchen zur Seite gestellt wurden, deren tristes Käfig-Leben erleichterten. „Was meinst Du?“, frage ich Hanna. Sie nickt nur weise. An diesem Abend bleiben meine geliebten Bücher ungelesen und wir gehen dank Hanna unter Leute. Auf ein buntes Hemd verzichte ich aber vorsichtshalber.

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