Der Lügenbaron

von Michael Krennerich

Unser Telefon gab vor kurzem den Geist auf. „Der Akku ist hinüber“, erklärte mir Hanna und bestellte sogleich einen neuen im Internet, wo es viele nützliche Dinge gibt. Doch auch mit dem neuen Akku gab es Probleme. Nach nur einigen Stunden fernmündlichen Austauschs, wie mir Hanna versicherte, war der Akku leer und ließ sich nicht mehr aufladen. „Das Telefon ist futsch“, erklärte ich Hanna fachmännisch und versprach ihr, mich darum zu kümmern. Tags darauf stand ich tatsächlich in einem großen Elektromarkt und kaufte ein neues Telefon, das Fritz, der Box, künftig Gesellschaft leisten sollte.

Noch am selben Abend machte ich mich daran, es zu installieren. Nach endlosem und erfolglosem Knibbeln und Knuppeln riss ich ungeduldig die Verpackung auf, um nach einem flüchtigen Blick auf die Installationsanweisung festzustellen, dass die Ladestation einen eigenen Netzanschluss benötigte. Nichts leichter als das, dachte ich mir, verbarg sich doch in der großen, eigens angeschafften Steckerleisten-Box aus hellem Holz, die sich ästhetisch wunderbar in unser Wohnambiente einfügt, eine ebensolche Leiste. Dort war sogar noch ein Steckerplatz frei, neben dem unschuldig ein kleiner weißer Stecker lag. Vage erinnerte ich mich nun auch an Pauls Frage, ob jemand wisse, wofür der weiße Stecker sei, als er ihn herauszog, um sein Smartphone aufzuladen.

Sogleich kam mir ein nicht allzu abwegiger Verdacht: Ich steckte den Stecker ein und die Basisstation unseres alten Telefons erwachte aus dem Tiefschlaf, während ich vor Scham im Boden versank: Ich hatte den Rat aller Telefon- und Internetexperten ignoriert und nicht als erstes die Stromversorgung überprüft. Vorsichtshalber sagte ich nichts zu Hanna, deren Vertrauen in meine technischen Fähigkeiten ohnehin seit geraumer Zeit erschüttert zu sein schien. Allerdings stand ich nun da mit dem nagelneuen Telefon. Um das Geld zurück zu erhalten, musste ich auf die Kulanz des Elektromarktes hoffen, mir auch bei mangelfreier Ware ein Rückgaberecht zu gewähren. Dafür bedarf es, so wusste ich, eines gekonnten Blicks für mitfühlende Mitarbeiter und einer guten Geschichte, zumal wenn die Originalverpackung zerfetzt ist. Nur mit Dummheit und Ungeduld lässt sich da schlecht argumentieren.

So wählte ich am nächsten Tag im Elektromarkt einen traurig dreinblickenden Verkäufer mittleren Alters aus, dem Probleme mit der Familie gewiss nicht fremd waren, und ließ meiner Phantasie freien Lauf: Das Telefon sei ein Überraschungsgeschenk für meinen Schwiegervater gewesen, der als Kapitän früher alle Weltmeere befahren hätte und nun im Alter hier in unserer Stadt quasi vor Anker ging, um seinen Lebensabend im Kreise seiner Angehörigen zu verbringen, um die er sich jahrzehntelang nicht gekümmert hatte. Gemeinsam richteten wir gerade seine Wohnung ein und dazu gehöre auch ein solider Festnetzanschluss mit entsprechendem Telefon. Nun habe mir der alte Seebär nicht erzählt, dass er gar keine Fritz-Box habe, sodass ich mit dem falschen Telefon dort ankam. „Sie können sich nicht vorstellen, welche derben Flüche und Verwünschungen ich mir anhören musste. Die waren schlimmer als auf dem Mannschaftsdeck bei hoher See“, erklärte ich dem sichtlich beeindruckten Verkäufer. „Die Verpackung hat er regelrecht zerfetzt und mir Landratte vor die Füße geworfen“.

Als der Verkäufer daraufhin vorschlug, das besagte Telefon gegen ein anderes, passendes umzutauschen, musste ich zum Leidwesen der Warteschlange hinter mir nochmals nachlegen. Der alte Knasterbart sei heute in aller Früh nochmals nach Hamburg gereist, um seine Siebensachen auf St. Pauli abzuholen und einige Angelegenheiten zu klären. „Wenn Sie mich fragen“, ergänzte ich mit gesenkter Stimme, „hat er dort im Hafen vermutlich noch die ein oder andere krumme Sache am Laufen. Oder eine Liebschaft. Vielleicht sogar uneheliche Kinder. Wer weiß?“ Nun, der Elektrofachverkäufer wusste es nicht, aber er nickte, als ich vorschlug, besser auf des Kapitäns Rückkehr zu warten, um nicht noch einmal aus Versehen ein falsches Telefon zu kaufen. Dann wäre, so bekräftigte ich, Holland wirklich in Not. Was soll ich sagen? Der Verkäufer wies nicht nur die Kasse an, mir das Geld für das Telefon auszuzahlen, sondern schenkte mir auch noch ein CD mit Seemannsliedern von Freddy Quinn zur Besänftigung des so leicht aufbrausenden Kapitäns.

„Und wie war’s in der Stadt?“, fragte Hanna, als ich später nach Hause kam. „Das Übliche“, gab ich zurück. „Mir ist inzwischen leider ein Missgeschick passiert“, gestand sie. „Ich habe die neue Kaffee-Mühle geschrottet“. „Kein Problem“, entgegnete ich. „Ich tausch‘ sie um. Zum Glück hatte dein Vater eine Kaffeeplantage in Südamerika.“ Verdutzt schaute mich Hanna an und wendete sich dann mit leichten Kopfschütteln ab. Beiläufig erklärte sie noch: „Ach ja, ich habe übrigens das alte Telefon entsorgt.“

Zurück zur Glossen-Übersicht „Ungewöhnliche Begegnungen“