Der Milchkarton – eine nicht enden wollende Geschichte

von Michael Krennerich

Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Leben ein weiteres Mal eine Glosse über Milchkartons schreibe, oder genauer: über Milchkartonverschlüsse. Aber Politik und Industrie zwingen mich dazu. Seit Neuestem verbindet ein zartes Plastikbändchen den Schraubverschluss mit dem Karton, in dem sich die von uns gekaufte Bio-Milch befindet. Wie das Teilchen heißt, weiß ich beim besten Willen nicht. Hanna traue ich mich nicht zu fragen, befürchte ich doch, dass sie augenblicklich den leidigen Mike Krüger-Song anstimmt.
Brauch‘ ich aber auch nicht. „Was ist mit dem Pinöppel?, fragt Hanna, als ich ratlos an dem Teil herumziehe. „Nichts, mir fiel nur nicht der Name dafür ein “, antworte ich. „Pinöppel, sag ich doch“, entgegnet sie, „oder auf Spanisch pirulito“. „Und wozu braucht man den Pinöppel?“, will ich wissen. „Du stellst Fragen“, schnaubt Hanna, dreht sich um und lässt mich stehen. „Das Teil ist doch total dysfunktional“, ruf ich ihr hinterher, „es kleckert wie nichts Gutes“. Doch Hanna ist schon verschwunden, um sich um die wirklich wichtigen Dinge in der Welt zu kümmern.
Dabei: Was gibt es Wichtigeres, als dem Wahnwitz der Welt die Stirn zu bieten. Also stelle ich mir gleich drei Fragen: Wieso, weshalb, warum? Zunächst habe ich vegane Erfinder in Verdacht, die ihre derben Scherze mit all jenen treiben, welche die verschüttete Milch auf dem Esstisch oder dem Küchenboden aufwischen müssen. Doch dann stoße ich bei meiner Recherche auf eine Verordnung zur Kennzeichnung von Einwegkunststoff, der zufolge Verschlüsse von Getränkebehältern aus Kunststoff künftig fest mit eben jenem Behälter verbunden sein müssen. Das Umweltbundesamt glaubt so zu verhindern, dass die abgetrennten Verschlüsse in unserer schönen Natur landen.
Das habe sie sich schon gedacht, wird Hanna später sagen. Wegen des Mikroplastiks. Doch ich bleibe skeptisch: zum einen, weil Hanna immer vorgibt, es schon zu wissen, wenn ich ihr etwas erkläre, zum anderen, weil ich wenige Menschen kenne, die Schraubverschlüsse sammeln, um sie dann im Wald zu verteilen oder in Bäche zu werfen.
Andererseits: Man weiß es nicht. Es gibt viele Menschen, die seltsame und mir unbegreifliche Dinge tun, die auf Kosten der Natur gehen. Ob dies Hundehalter sind, die Schnuffis Hinterlassenschaften in eine Plastiktüte schaufeln und diese dann in freier Natur liegen lassen, so dass sie dort auf ewig konserviert bleiben, oder Outdoor-Liebhaber, die in Funktionsklamotten aus Plastik auf die Berge kraxeln. Zudem ist der seltene Schraubverschlusssammler ein scheues Wesen. Still und leise geht er vor, ganz im Unterschied zu dem gemeinen Schraubverschlussnutzer, der zu spontanen Wutausbrüchen neigt und zugleich an der Welt verzweifelt. „Was ist?“, fragt Hanna, als sie angesichts all der Kraftausdrücke zurück in die Küche eilt. „Nichts“, antworte ich und sage es dann selbst: „Ich wollte nur den Nippel durch die Lasche ziehen“. „Mein Gott, Alter“, stöhnt Hanna nur.

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