von Michael Krennerich
Gleich, ob man Rugby spielt, gefährliche Länder bereist oder als contract killer sein Auskommen sichert – um ein richtiger Mann zu sein, bedarf es mehr: der Fähigkeit zu grillen, eine Bierflasche mit dem Feuerzeug zu öffnen und meinungsstark in sich zu ruhen. Mir sind schon viele solcher echten Kerle begegnet. Fachmännisch stehen sie vor teuren Grills, wenden mit der einen Hand argentinische Steaks, während die andere eine lauwarme Bierflasche hält, die zuvor gekonnt geöffnet wurde, in Extremfall mit der Augenbraue. Unbeirrt hören sie den Lebensweisheiten der Umstehenden zu oder geben selbst kernige Sprüche zum Besten, gratis zu Senf und Ketchup gewissermaßen.
So gesehen, bin ich wahrlich keine Zierde meines Geschlechts: Ich grille nicht, lasse andere Menschen lästige Kronkorken öffnen und bin nicht frei von Selbstzweifeln. Dafür kann ich aber nichts. Bei jedem noch so kleinen Fest, das ich bisher besuchte, stand immer schon ein selbsternannter Profi am Grill, oft allein, manchmal umringt von Seinesgleichen. Hielt ich nach einem Flaschenöffner Ausschau, riss mir augenblicklich ein geübter Zecher das Bier aus der Hand: „Gib mal her die Pulle!“ Und Selbstzweifel? Nun, die kommen ganz automatisch, wenn ich mich manchmal selbst reden höre. Doch mein Unvermögen hat auch seine guten Seiten, und zwar nicht nur in halbgeselliger Runde von Veganerinnen und Abstinenzlern. Die nachfolgende Geschichte, so unglaublich sie erscheinen mag, belegt dies.
Es geschah mitten an einem gewöhnlichen Werktag. Da ich gerade erst eine fiese Grippe überstanden hatte, arbeitete ich zuhause im beschaulichen home office. Als es klingelte, schlenderte ich leicht genervt zur Tür, noch in der Annahme, ein weiteres Paket für unseren bestellfreudigen Nachbarn annehmen zu dürfen. Doch im Hauseingang stand mitnichten ein gehetzter Paketbote, sondern vielmehr ein schwarz gekleideter Mann von trauriger Gestalt. Er war sehr fahl im Gesicht und wirkte kränklich. Ich hatte sofort Mitleid mit ihm. Er sei ein namenloser Gehilfe der Unterwelt, stellte er sich vor und fügte sogleich erklärend hinzu, dass er keineswegs der Welt der Gangster entstamme (er sagte wirklich „Gangster“ wie einst meine Oma Gretel), sondern der richtigen Unterwelt, also dem Orcus, Hades oder wie man auch immer das finstere Reich der Toten bezeichne.
„Aha“, meinte ich nur, „und was wollen Sie von mir?“ „Mich nach Ihrem Befunden erkundigen!“, antwortete die blasse Gestalt. „Augenscheinlich geht es mir besser als Ihnen“, erwiderte ich freundlich. „Na ja, sie haben die vergangenen Tage ganz schön gehustet“, ließ der bedauernswerte Unterweltsgehilfe nicht locker. „Mein Chef meinte, es könnte langsam an der Zeit sein, dass wir sie holen.“ Nun war ich doch etwas beunruhigt. „Sind Sie sicher, dass Sie an der richtigen Tür geklingelt haben? Mein Nachbar ist auch nicht mehr gut auf den Beinen. Lässt sich ständig Pakete liefern, anstatt selbst einzukaufen. Vielleicht sollten Sie mal bei ihm nachfragen.“ Verunsichert kramte der Gehilfe in seinen Unterlagen, die in einer altmodischen Aktentasche steckten, und prüfte ein kurzes Schreiben. „Nein, nein, das stimmt schon, sie sind doch der Autor dieser unsäglichen Glossen, oder?“
„Hmmh“, meinte ich nur.
„Na sehen Sie, dann bin ich richtig.“ Er strahlte zum ersten Mal. „Jetzt kommen Sie erst einmal rein“, sagte ich. „Dann können wir alles in Ruhe bereden.“ Der Gehilfe trat etwas zögerlich in den Flur, während ich mir rasch meine nächsten Schritte überlegte. Themenwechsel ist eine angemessene Strategie, wenn’s brenzlig wird. Das wusste ich aus der Politik. Und Vertrauen schaffen. So bot ich ihm einen Platz an unserem Esstisch an, gab ihm etwas zu trinken und stellte einige freundliche Fragen. Wie lange er schon in der Unterwelt wohne und arbeite, fragte ich, und ob es ihm dort gefalle. Anfänglich druckste er herum, dass der Job eigentlich ganz in Ordnung sei. Er müsse ja nur die Weicheier abholen. Für die harten Kerle seien seine Kollegen zuständig. Nach einer Weile gestand er aber, dass die Kost in der Unterwelt doch reichlich zu wünschen übrigließe. Die hartgesottenen Grillprofis müssten zur Strafe alle Gemüsesuppen kochen, und die Weicheier könnten alle nicht grillen. Dabei seien die Bedingungen optimal – hitzemäßig und so.
„Können Sie denn grillen?“, fragte er auf einmal, sich unvermittelt aufrichtend. Ein Funken Hoffnung leuchtete in seinen schwarzen, traurigen Augen. „Keine Spur“, antwortete ich, sodass der Gehilfe gleich wieder in sich zusammensank. „Aber Sie haben recht“, fügte ich hinzu. „Sie brauchen unbedingt etwas Richtiges zum Beißen. Ein wenig blass sehen sie schon aus.“ Der Gehilfe nickte traurig. Für eine Weile saßen wir beide schweigend am Tisch. Dann kam ihm offenbar eine Idee. „Wie wäre es, wenn ich Sie noch ein Weilchen hier oben lasse und Sie grillen lernen, so mit High-Tech-Grill und allem Drum und Dran?“ In seinem Blick lag nun etwas Verschlagenes. Sogleich durchschaute ich ihn. „Deal“, antwortete ich dennoch ohne Zögern. „Sobald ich richtig, ich meine wirklich richtig gut grillen kann, lade ich Sie ein. Versprochen. Dann sehen wir weiter“. „Ich habe zufällig ein nagelneues Grill-Modell im Auto“, erwiderte er begeistert. „Soll ich es gleich hereinbringen?“ „Besser nicht“, antwortete ich rasch und winkte ab. „Meine Frau kommt gleich. Sie darf nichts merken. Sie ist Radikal-Veganerin.“ Er nickte verständnisvoll. Dann raunte ich verschwörerisch: „Aber nächste Woche muss sie beruflich verreisen, dann können sie ja wieder vorbeibekommen.“ Selten hatte ich einen Unterweltsgehilfen so fröhlich seiner Wege gehen sehen.
Abends kam Hanna nach Hause und stellte stöhnend die Einkaufstaschen auf den Tisch. „Hallo, Schatz! Hab‘ eingekauft. Freue mich schon auf einen schönen Pata-Negra-Schinken mit Baguette, spanischen Oliven und einem guten Rioja“, schwärmte sie, während sie die Köstlichkeiten auspackte. „Ich habe einen Mordshunger.“ Als wir später in trauter Zweisamkeit auf den Abend anstießen, fragte Hanna, wie mein Tag gewesen sei und was ich nächste Woche vorhabe. „Ich muss nach Berlin“, erklärte ich ihr. „Und, ach ja, wenn irgendwann eine traurige schwarze Gestalt klingelt, dann mach‘ ihr besser nicht auf. Es ist ein gerissener Handelsvertreter, der einem einen High-Tech-Grill aufschwatzen will.“ Hanna schaute über den Rand ihres Rotweinglases hinweg in mein breit grinsendes Gesicht. „Es gibt keine Handelsvertreter, die an die Tür kommen, um irgendwelche Grillgeräte zu verkaufen.“ Dann prostete sie mir zu und nahm einen großen Schluck.
„Upps!“, meinte ich nur.
Nachdenklich ließ ich den Rioja im Glas kreisen. Zur Panik bestand dennoch kein Anlass. Hanna würde mit dem Männlein leicht fertig werden. So viel war sicher. Und in meinem Fall? Nun, bis ich richtig gut grillen könnte, würde gewiss noch reichlich Wasser den Styx hinunterfließen. So viel war ebenfalls sicher. Außerdem wachte ich, in der Hängematte liegend, just in diesem Moment aus meinem Tagtraum auf. Hanna hatte mir ein Teller gegrillte Auberginen unter die Nase gehalten. „Komm, das Essen ist fertig!“ Schade eigentlich. Die Geschichte über den namenlosen Unterweltgehilfen wäre gewiss der Knaller auf jeder Grillparty geworden.