Verlierertypen, Freunde und Pünktlichkeit

von Michael Krennerich

Heute früh, als ich zur Arbeit radelte, begegnete ich einem rotbraunen Eichhörnchen. Mit seinen schwarzen Knopfaugen sah es mich kurz an, bevor es – Scrat gleich – weiter eine Eichel über die Straße zu rollen versuchte. Oval rollt nicht rund, musste das Kerlchen erfahren, das sich redlich, aber nicht sonderlich geschickt abmühte, seinen Schatz in Sicherheit zu bringen. Herzerwärmend und doch traurig zugleich! Womöglich ist es eines dieser vergesslichen oder verschnupften Eichhörnchen, das einen Teil seiner Wintervorräte nicht wiederfindet, dachte ich mir. Ich mag solche Verlierertypen. Sie sind in der Tierwelt gar nicht so selten.

Unlängst sah ich ein Video von zwei Pinguin-Gruppen. Die eine Gruppe kam von Westen, die andere von Osten angewatschelt. In der Mitte, irgendwo am Südpol, trafen sie sich, hielten scheinbar ein Schwätzchen und setzten dann ihren Ausflug fort. Ein offenbar leicht verpennter Pinguin trottete jedoch mit der falschen Gruppe weiter. Sein Kumpel musste hinterher hopsen, um ihn zurückzuholen. Gut, wenn man einen Freund hat, nicht nur im Tierreich.

Sie haben sicherlich auch solche Freunde, die gerne verschlafen, stets den Zug verpassen und immer zu spät zu einer Verabredung kommen, sofern sie diese nicht ganz vergessen haben. Man kann ihnen eigentlich nicht böse sein. Genau besehen, sind sie sogar eine große Lebenshilfe. Ein liebevolles Gegengift gegen Pünktlichkeit, Planungsglauben und Kontrollwahn. Mit als notorisch Pünktlichem tun solche Freunde gut.

Beruflich tun sich die Hänger allerdings keinen Gefallen. Schon im Studium drohen sie an Prüfungsordnungen zu scheitern, die sie nicht lesen, an Klausuren, die sie verschlafen, und an Studienzeitbegrenzungen, die sie nicht einhalten. Da hilft es, wenn sie Studienfreunde haben, die ihnen unter die Arme greifen, und Dozent:innen, die ein Auge zudrücken, wohlwissend, dass die Welt nicht nur Karrierist:innen braucht.

So freue ich mich stillschweigend über einfallsreiche Ausreden von Studierenden, die stets zu spät oder mit ihren Hausarbeiten nicht rumkommen. Leider sind nicht viele der Ausreden originell. Wie sehr würde ich mich darüber freuen, wenn jemand das Zuspätkommen damit entschuldigen würde: „Ich habe einem Eichhörnchen geholfen, eine Eichel über die Straße zu rollen“. Oder: „Ich habe einem verpeilten Pinguin den Weg gezeigt!“

Wie heißt es so schön in dem Song „From under the covers“ von Beautiful South: „But I have a friend who’s never up by 10:00. He’s fast asleep with mouth open wide. He’s lost a lot of jobs, but he’s won a lot of friends. And he says to me, he cannot tell the time.  … And he’ll blame his clock or he’ll say he’s lost his socks and they’ll tell you that he’s bitten by a snake. His excuses are an art from the bottom of his heart and he thinks of them whenever he awakes.“ Seid also kreativ! Wir Pünktlichen brauchen das, um die Welt etwas lockerer zu sehen, und Eure Freunde werden es zu schätzen wissen.

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