Von Abkürzungen und Deppen

von Michael Krennerich

Vorderhand sind Abkürzungen eine nützliche Sache. Sie sparen Platz beim Schreiben, verkürzen lange Reden und füllen bei Schwedenrätseln ansonsten schwer zu füllende Kästchen. Auch ästhetisch können sie überzeugen, verzichten sie doch häufig auf die lästigen Vokale. Doch bei näherer Betrachtung ergeben sich einige Nachteile. Nicht nur sorgen sie beim Scrabble für Dauerstreit, wenn man sie dort leichtsinnig zulässt. Sie trennen die Welt auch in Eingeweihte und Außenstehende, neudeutsch: in Insider und Outsider. Oder salopp gesagt: Man kommt sich leicht wie der Depp vom Dienst vor, wenn man bei vermeintlich geläufigen Buchstabenkombinationen nicht durchsteigt.

Tatsächlich: Kaum eine Berufssparte, kaum eine akademische Disziplin, die nicht ausgiebig Abkürzungen benutzt. Unser Sohn Paul, beispielsweise, studiert jetzt Biologie, und da tummeln sich nicht nur Bakterien, Viren und allerlei Getier, sondern auch eine Vielzahl an Abkürzungen, die kein Gemeinsterblicher kennt, geschweige denn sich merken kann. Zu meinen Favoriten zählt „KDPG“, das für das schöne „2-Keto-3-Desoxy-6-Phosphogluconat“ steht, eine Methode mancher Organismen, um Kohlenhydrate und Zucker abzubauen. So richtig leicht über die Zunge geht auch der Energieträger Adenosintriphosphat, der schlicht mit ATP abgekürzt wird, das aber irgendwie nach Tennis klingt.

Manchmal gelingt es jedoch auch Abkürzungen ihrem disziplinären Schattendasein zu entkommen und in das Licht der Öffentlichkeit hinauszutreten, wo sie dann ungeniert ihr Unwesen treiben. Die FFP2-Masken beispielsweise sitzen zwar nicht immer fachgerecht auf der Nase, sind aber zumindest in aller Munde. Auch der PCR-Test hat aus gegebenem Anlass eine solche Karriere erfahren, wobei „PCR“ zugegebenermaßen auch leichter zu merken und auszusprechen ist als „Polymerase Chain Reaction“ (Polymerase Kettenreaktion). 

Nun muss man der Gerechtigkeit halber einräumen, dass viele Abkürzungen auch das Futter für Späße aller Art im Internet sind. Da wimmelt es nur so vor Geistesblitzen, wie etablierte Abkürzungen umgedeutet werden können. Aus ADAC wird dann der „Allgemeine deutsche Alkohol Club“ und aus BMW „Bei Mercedes weggeworfen“. Solch ein „Humor“ ist übrigens keine deutsche Eigenart. Als ich mich einige Monate in Südafrika aufhielt, stand „Break my window“ für das uns wohlbekannte Kürzel des Bayerischen Motorenwerks. Noch schlimmer war dort nur das sexistische „Be my wife“, das aber irgendwie auch zu BMW-Fahrern passt. Ich selbst fuhr in Johannesburg seinerzeit übrigens ein klappriges No-Name-Auto, das keiner stehlen wollte oder sexy fand.

Auch in der Politik werden eifrig Abkürzungen verwendet. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend mit dem griffigen Kürzel BMFSFJ sticht hier als Konsonanten-Ministerium hervor. Das Bundesministerium für Inneres und für Heimat (BMI) wiederum konnte sich nach seiner „Anreicherung“ um Bau und Heimat aus offensichtlichen Gründen das Kürzel BMIBH gerade noch verkneifen. Das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) kennen – mit oder ohne Kürzel – ohnehin nur die Wenigsten. Dabei sind Abkürzungen gerade in der EZ (Entwicklungszusammenarbeit) gang und gäbe. Ihre Verwendung mag nicht immer Vertrautheit mit den Problemen in der Welt belegen, wiewohl aber die Kenntnis bürokratischer Projektitis.

Und wie sieht es im Bundestag, unserer Volksvertretung, aus? Nach Wahlen irren viele neue MdBs (Mitglieder des Bundestages) in den Gängen umher, um zu ihrer FraSi (Fraktionssitzung) zu eilen und ihren FraVo (Fraktionsvorstand) zu treffen. Später verabschieden sie dann eine Unmenge an Gesetzen, die sich ebenfalls prima abkürzen lassen. Wer möchte aber auch nicht solch schönen deutschen Wörtern wie „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) oder „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ (LkSG) eine Abkürzung verpassen? Weit schlimmer ist allerdings, wenn das Wahlvolk die Parteikürzel nicht entschlüsseln kann. Ungelogen: Die Oma einer Bekannten von Hanna, meiner Frau, wählte jahrelang die DKP, weil sie diese für die Deutsche Katholische Partei hielt.

Während ich noch weiter sinniere, klingelt das Telefon. Mein Schwiegervater ist dran. „Und, wie isses?“, frage ich. „Funktioniert der neue Fernseher?“ „Ich schaue Bundesregierung“, antwortet er. Ich vermute, er meint den BR.

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