Alltagsmanipulation

von Michael Krennerich

Als Politikwissenschaftler bin ich hin und wieder politikberatend unterwegs. Große Illusionen mache ich mir dabei nicht. Politiker:innen hören gemeinhin nicht auf meinen Rat – und wenn doch, dann picken sie sich nur jene Ratschläge heraus, die ihnen ohnehin in den Kram passen. Um Frust zu vermeiden, versuche ich daher an anderer Stelle Wirkkraft zu entfalten. 

Möglich ist dies, so durfte ich feststellen, in Optik-Läden. Nicht unbedingt, wenn Anton und Lisa aus der Fielmann-Werbung ihre professionelle Beratung anbieten, weil sie schon als Kinder offenbar ausgewachsene Besserwisser waren. Nein, eher dann, wenn Kundinnen etwas verloren im Laden stehen und auf eigene Faust Brillen anprobieren. Da reicht es, eine Augenbraue leicht anzuheben, die Stirn zweifelnd in Falten zu legen oder die Luft leicht hörbar einzuziehen, und schon ist das Gestell von der Nase. Umgekehrt bewirkt ein zustimmendes Nicken, schon gar verbunden mit einem wertschätzenden Schürzen der Lippen, wahre Wunder. Ich habe die Methode mehrfach erfolgreich angewandt. So manches Opfer hat sich meinetwegen für ein überteuertes Brillen-Ungetüm entschieden; der eine oder andere Ladenhüter ging so über die Theke. Da tut sich ein ganz neues Berufsfeld auf. Nennen wir es „Private Customer Manipulation Manager“. Ich denke, mit einem solchem Titel müsste man genug Geld verdienen, wenn es mit der Politikwissenschaft nicht mehr klappt. Mit der Influencer-Generation will ich dabei erst gar nicht konkurrieren. Meine Zielgruppe ist deutlich über 40 Jahre alt. 

Mit Ausnahme von Hanna, die seit nun schon geraumer Zeit 39 Jahre alt bleibt und sich reichlich renitent gegenüber meinen konventionellen Bemühungen erweist, ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Auf echte Lebensweisheiten aus meinem Mund legt sie nachweislich keinen Wert, und selbst im Alltag erweist sie sich als widerspenstig. Da hilft nur die Kunst der Manipulation. Ein Beispiel: Möchte ich, dass Hanna einen Espresso macht, kündige ich an, selbst einen zuzubereiten und lese dann weiter in meinem Buch. Nach kurzer Zeit verspürt Hanna Kaffeedurst und steht in der Küche. Èccolo! Ohne Murren stellt sie kurz darauf zwei Tassen auf den Tisch. Mittlerweile schwärmt sie sogar davon, wie gut frische, luftige Croissants zum Espresso passen würden und verdreht dabei verzückt die Augen. Kurz darauf stehe ich beim Bäcker um die Ecke. Ein anderes Beispiel: Möchte ich, dass Hanna uns an einem feucht-fröhlichen Abend mit dem Auto nach Hause fährt, lobe ich vor den versammelten Party-Gästen den Fahrstil meiner Frau und lüge, wie gut sie einparkt. Meine leicht manipulierbare Hanna zeigt sich von dem Not-Kompliment so angetan, dass sie inzwischen gleich mehrfach darauf anstößt. „Ein Prost auf die Fahrerin“, ruft sie dabei aus und schwenkt ihr Glas Prosecco. Schade, dass mir das Zeug – ob Spumante oder Frizzante – nicht schmeckt. 

„Renitenz und Resilienz liegen eng beieinander“, erkläre ich später meiner unbedarften Frau, als ich Ihr von meinen Plänen als „Private Customer Manipulation Manager“ erzähle. „Ja wirklich?“, staunt sie. „Was für einen klugen Mann ich doch habe.“  

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