von Michael Krennerich
Manche Dinge lernt man nie. Beispielsweise einen Pullover – wie es dem englischen Wortsinn entspricht – stilsicher über den Kopf zu ziehen. Vor allem beim Ausziehen wende ich seit jeher die männlich assoziierte Vorgehensweise an, den Pulli von hinten umständlich über den Kopf zu zerren. Dabei hake ich die Daumen am oberen Ende des Pullovers ein, sodass das gute Stück alsbald ein kleines Loch schmückt. Nicht minder dusselig stelle ich mich beim An- und Ausziehen von Jacketts und Sakkos an, wenn ich raumgreifend versuche, den zweiten Arm in den dazugehörigen Ärmel zu zwängen – und dabei Vasen, Tischlampen und meine Mitmenschen im näheren Umfeld gefährde. Hanna steht dann in sicherem Abstand neben mir und schüttelt nur ungläubig den Kopf.
Manche Dinge will man aber auch nicht lernen. Sich beispielsweise mit der Handy-Kamera unentwegt selbst in Szene zu setzen oder, noch schlimmer, von Hanna spontan ein schönes Foto vor traumhafter Kulisse zu schießen, mit dem sie zufrieden ist. Das Fotografieren war einst Ausdruck der steten Suche nach dem Überraschenden, versuche ich ihr zu erklären, und nicht nur nach einer kitschigen, weltverschönernden Momentaufnahme. Da braucht es Geduld und Geschick. „Mach schon“, stöhnt Hanna, „jetzt drück schon ab“. Unwillig komme ich meiner Chronistenpflicht nach, den ach so schönen Moment festzuhalten. Dabei wische ich wahllos über das Kamera-Symbol, bis sich irgendwann auf wundersame Weise ein Schnappschuss löst. Entsprechend ist das Resultat: Hanna mit abgeschnittenem Kopf, wie sie genervt in die Kamera blickt, während im Hintergrund die Sonne untergeht. Oder das Meer glitzert. Oder ein Segelboot vorbeizieht. Wie auch immer: Hanna nimmt mir dann das Smart-Phone aus der Hand und macht einige schöne Selfies.
Ich selbst komme auf den Fotografien, wenn Hanna gnädig ist, auch gelegentlich vor. Seit neuestem sogar im Hotelzimmer, wenn ich meinen Seemanns-Pulli ausziehe.
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